Entwicklung der Kulturlandschaft auf der Kurischen Nehrung (1795-2016)

Eine andere Perspektive auf die Entwicklung der Kulturlandschaft auf der Kurischen Nehrung erlaubt der Vergleich der Verteilung der Landnutzung im Längsschnitt von 1795 bis 2016. Dieses Vorgehen ermöglicht es, die großen Entwicklungslinien der Landschaftsstruktur auf der Kurischen Nehrung zu erkennen und zu beschreiben. Dabei muss darauf geachtet werden, dass die verwendeten Kartenwerke aus unterschiedlichen Entwicklungsphasen der Kartographie stammen und verschiedene Hintergründe besitzen, weshalb gleiche Elemente und Erscheinungen auf den verschiedenen Karten unterschiedlich kartiert sein können. Zudem bestehen bei historischen Karten auch andere Unsicherheiten, da verschiedene Verfahren der Kartierung und Vermessung (Geodäsie) angewandt wurden, um die Karten zu erstellen. Die Entwicklungstendenzen der hier vorgestellten Interpretation können in der Gesamtschau als belastbar angesehen werden, auch wenn einzelne Ungenauigkeiten sich nicht vermeiden lassen. 

Die Gesamtfläche der Kurischen Nehrung hat sich über die Zeit, die in den verschiedenen Karten dargestellt wird, nicht stark verändert. Eine Ausnahme von dieser Aussage bildet die Schröttersche Landesaufnahme (1795-1802), welche die Kurischen Nehrung mit einer deutlich größeren Fläche darstellt. Diese hohe Abweichung der Fläche zu den nachfolgenden Karten könnte jedoch auch auf die Messmethoden am Anfang der amtlichen Messung zur Zeit ihrer Erstellung zurückzuführen sein. Im folgenden Vergleich der Gesamtfläche der Kurischen Nehrung lassen wir die Schröttersche Karte daher außen vor. (Einige Erläuterungen zu den Entwicklungen in der Geodäsie und Kartographie nach der Schrötterschen Karte finden sich hier)

Die geringe Veränderung der Gesamtfläche der Kurischen Nehrung ist bemerkenswert, da die Morphologie dieses Gebiets ein äußerst dynamisches System darstellt, in dem Material sowohl abgetragen als auch abgelagert wird. Insbesondere Sand wird von den Steilküsten des Samlands westlich der Kurischen Nehrung abgetragen, entlang der Küste transportiert und schließlich auf der Nehrung selbst abgelagert, wo er durch den Wind weiter verteilt wird. Gleichzeitig verliert die Kurische Nehrung Fläche aufgrund von Erosionsprozessen, bei denen Material durch Wellen- und Windbewegungen wieder abgetragen wird. Dabei ist die Küste der südlichen Nehrung dynamischer als die Küste im Norden (Mager 1938, S. 70). Die Tatsache, dass die Gesamtfläche der Kurischen Nehrung über die Zeit hinweg nur geringfügige Veränderungen aufweist, mit einer Differenz von lediglich etwa 5 % (8,22 km²) zwischen den Maximalwerten, legt nahe, dass sich dieses komplexe System in einem dynamischen Gleichgewicht befindet (Solger 1910, S. 68). Bei den weiteren Vergleichen ist es daher wichtig, dass der Vergleich mit Prozentwerten erfolgen muss. 

Die Landschaft der Kurischen Nehrung wurde in ihrer Form und Erscheinung über Jahrhunderte hinweg durch menschliche Nutzung geprägt. Im Laufe der Zeit hat sich die Landschaft durch verschiedene Eingriffe und Nutzungsweisen immer wieder verändert, die oft mit bedeutenden Ereignissen wie Kriegen oder gesellschaftlichen Veränderungen einhergingen. Dieser Wandel wird durch die auf dieser Seite präsentierten Karten der Kurischen Nehrung deutlich. In der Analyse der Kulturlandschaft sind verschiedene Aspekte des Wandels deutlich geworden, die im Rahmen einer statistischen Auswertung dargestellt werden sollen. Im folgenden Abschnitt wird zunächst der Wandel der vorherrschenden Landschaftsformen auf der Kurischen Nehrung beschrieben, da sie die Erscheinung der Kulturlandschaft im betrachteten Zeitraum maßgeblich geprägt haben.

So zeigen die ersten auf dieser Website präsentierten Karten der Schrötterschen Landesaufnahme (1795-1802) das Ergebnis einer ökologischen Katastrophe (Solger 1910, S. 66–67). Im Verlauf der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verschwanden die Wälder der Kurischen Nehrung und die Ursachen für ihr Verschwinden sind eng mit den menschlichen Aktivitäten auf der Halbinsel verbunden, da andere mögliche Erklärungen, wie klimatische Veränderungen oder Schädlinge nie dokumentiert oder beschrieben wurden. Bis heute sind aber die genauen menschlich bedingen Ursachen für das Verschwinden der Wälder im 18. Jahrhunderts unklar, jedoch wird eine zu intensive Nutzung mit einer zu großen Entnahme von Bäumen als wahrscheinlichste Ursache angenommen (Mager 1938, 60–94). Infolge des Verschwindens der Wälder wurde der Sand, der zuvor von den Bäumen zurückgehalten wurde, der beschleunigten Erosion freigegeben und so mobilisiert.

Die Mobilisierung des Sands führte schließlich zur verbreiteten Entwicklung von Wanderdünen auf der Kurischen Nehrung (Solger 1910, S. 66–69). Für die Bewohner stellen diese Wanderdünen eine besondere Herausforderung für ihr Leben auf der Halbinsel dar. Sie drohen immer wieder, einzelne Ortschaften zu verschütten, wogegen Maßnahmen ergriffen werden mussten. In der Folge wurden ganze Ortschaften verlegt oder aufgegeben. Bis heute sind die Wanderdünen jedoch auch ein wichtiges Element in der öffentlichen Vorstellung und Repräsentation der Landschaft der Kurischen Nehrung und dürfen in keinem Reiseführer fehlen (Lendvai-Dircksen 1941; Sietz u. Malerek 1996; Pluhařová-Grigienė 2017; Sereika 2020). 

Die Bedeutung der Sandflächen für die Erscheinung der Kulturlandschaft auf der Kurischen Nehrung erkennt man leicht daran, dass, nach dem Verschwinden der Wälder, Sandflächen auf der Schrötterschen Karte (1795-1802) 80% der Gesamtfläche ausmachen. Auf den nachfolgenden Karten von 1834 und 1859/60 sinkt der Anteil der Sandflächen auf dann immer noch rund 50 % der Gesamtfläche. Erst in den folgenden Karten nimmt der Anteil der Sandflächen wieder deutlich ab. 1912 beträgt der Anteil der Sandflächen noch 30,8 % der Gesamtfläche. Danach kommt es zu einer weiter fortschreitenden Abnahme der Anteile der Sandflächen, er sinkt bis 1960-66 auf 18,1 % und bis 2016 auf 12 %, was der niedrigste Wert in der dargestellten Datenreihe ist.

Die vormaligen Sandflächen werden anschließend von niedrigem Bewuchs bedeckt, welche in den Karten als Kraut- und Strauchbewuchs beziehungsweise Grünland klassifiziert werden. Der Anteil dieser Landschaftsformen betrug in der Schrötterschen Karte zusammen nur 3,2 %, stiegt aber bereits in der Karte von 1834 auf 35 % an, wovon der größere Anteil Kraut- und Strauchbewuchs war (26,4 %). Der Anteil des Waldes an der Gesamtfläche blieb in diesem Zeitraum bei 8,3 %, wie bereits in der Schrötterschen Karte. 1859/60 kommt es in der Karte zu einem Rückgang der Fläche an Grünland von 8,6 % (1834) auf 2,2 % (1859/60), der Anteil des Kraut- und Strauchbewuchs bleibt im selben Zeitraum hingegen weitgehend gleich.

Im Vergleich zu den vorherigen Karten verändert sich die Kulturlandschaft der Kurischen Nehrung auf der Karte von 1912 deutlich. Es gibt eine klare Zunahme der Waldfläche, sie steigt von 9,2 % (1859/60) auf 46,7 % (1912) an, während alle anderen ausgedehnten Landschaftsformen zurückgehen. Die Sandfläche geht auf einen neuen Tiefpunkt von 30,8 % zurück, während die kombinierte Fläche an Kraut- und Strauchbewuchs und Grünland auf zusammen 15,5 % zurückgeht, was etwa einer Halbierung des bisherigen Flächenanteils entspricht. Die wichtigste Ursache des Wandels der Kulturlandschaft in der Zeit zwischen den beiden Karten sind die Maßnahmen zur Festlegung der Dünen, welche die Anpflanzung von Wäldern auf den ausgedehnten Sandflächen vorantreibt. Dabei werden nach bestimmten Verfahren Gräser oder junge Bäume in den Sand gepflanzt, so dass zunächst niedriger Bewuchs entsteht, der dann langsam zum Wald aufwächst (Gerhardt 1900a). Diese Verfahren wurden maßgeblich von dem Dünenbauinspektor Wilhelm Franz Epha durchgesetzt, der ab 1864 als Düneninspektor auf der Kurischen Nehrung tätig war (Gerhardt 1900b, 310–312).

In der Kulturlandschaft ist der Übergang der Kurischen Nehrung in die Verwaltung der Sowjetunion nicht als drastischer Wandel erkennbar. Es herrscht eine Kontinuität hinsichtlich der landschaftlichen Entwicklung, in der sich die zuvor feststellbaren Änderungen fortsetzen. Der Anteil der Sandflächen nimmt in den rund 50 Jahren von 1912 bis 1960-66 weiter ab, auf nur noch rund 18 % an der Gesamtfläche. Gleichzeitig wächst der Anteil aller bewachsenen Flächen. Eine Abweichung vom Trend der Vorperioden ist, dass in dieser Zeit der Anteil des Waldes letztmals zurückgeht. Gleichzeitig nimmt der Anteil des Grünlandes deutlich zu, von rund 3 % (1912) auf 21,2 % (1960-66), während der Anteil des Kraut-/ und Strauchbewuchs nahezu gleich bleibt (1912: 14,1 % bzw. 1960-66: 13,4 %). Hinsichtlich der Verteilungsveränderung unterschiedlicher Formen der Vegetation (Wald, Grünland und Kraut- und Strauchbewuchs) bleibt offen, was als ausschlaggebende Ursache ausfindig gemacht werden kann. Es könnte an einem effektiven Wandel in der Landschaft, an einer veränderten Form der Datenaufnahme im Feld oder an einer unterschiedlichen Darstellungsform liegen, die den Karten zugrunde liegt. So könnten beispielsweise gleiche Formen abhängig von der jeweiligen Karte auf unterschiedliche Weise dargestellt werden. 

In den nachfolgenden beiden Perioden von 1960-66 bis 1984-87 und dann bis 2016 zeigt sich eine bemerkenswert konstante Entwicklung der Kulturlandschaft. Diese ist gekennzeichnet durch ein weiteres Schrumpfen der Sandflächen und die Zunahme der mit Vegetation bewachsenen Flächen, wobei sich bei diesen der Anteil des Waldes deutlich erhöht, während die Flächen niedrigen Bewuchses abnehmen. Genauer betrachtet zeigt sich in diesen Perioden eine anhaltende Entwicklung der Kulturlandschaft. Die Sandflächen nehmen kontinuierlich ab, während die mit Vegetation bewachsenen Flächen zunehmen. Der Anteil der Sandflächen verringert sich von 18,1 % (1960-66) über 13 % (1984-87) auf 11,9 % (2016). Im Gegensatz dazu verzeichnet der Wald einen deutlichen Anstieg von 42,7 % (1960-66) über 59,9 % (1984-87) auf 74,4 %. Der Anteil des niedrigen Bewuchses, bestehend aus Grünland und Kraut-/ Strauchbewuchs, schrumpft hingegen von 34,6 % (1960-66) über 20,8 % (1984-87) auf 8,8 %.

Neben den dominanten Landschaftselementen Sand, niedrigem Bewuchs und Wald gibt es weitere Elemente, die nur auf kleinen Bereichen der Gesamtfläche der Kurischen Nehrung vorkommen. Dazu gehören Wasserflächen wie Seen und Feuchtgebiete sowie Flächen, die durch menschliche Aktivitäten, insbesondere Landwirtschaft und Siedlungen, geprägt sind. Bei genauer Betrachtung fällt auf, dass die landwirtschaftlich genutzte Fläche auf der Kurischen Nehrung über die gesamte Zeit hinweg einen sehr geringen Anteil an der Gesamtfläche ausmacht. Dies ist auf die meist unfruchtbaren Böden zurückzuführen, wodurch der Anteil der landwirtschaftlichen Fläche niemals 1,4 % überschreitet, wie es in der Karte von 1912 dargestellt wird.

Der Anteil der Siedlungsfläche und ihrer näheren Umgebung variiert. In der Schrötterschen Karte (1795-1802) macht sie etwa 1,9 % der Gesamtfläche aus, während auf der Karte von 1834 ihr Anteil auf 1,2 % abnimmt. Über die nächsten 80 Jahre hinweg nimmt die Siedlungsfläche zu und erreicht 1912 einen Anteil von 2 %. Nach dem Übergang der Kurischen Nehrung in die sowjetische Verwaltung nach dem Zweiten Weltkrieg sinkt die Siedlungsfläche bis 1960-66 zunächst deutlich auf 1,4 % der Gesamtfläche, bedingt durch Bevölkerungsverluste und die langsame Wiederansiedlung während der sowjetischen Zeit (Arbušauskaitė 1993).

In der folgenden Periode nimmt die Siedlungsfläche innerhalb kurzer Zeit deutlich auf 2,8 % (1984-87) zu, aufgrund von Neubauprojekten und einer wachsenden Bevölkerungszahl auf der Kurischen Nehrung (Drėmaitė et al. 2020). In der letzten Periode bleibt der Anteil der Siedlungsfläche stabil und wächst minimal auf 2,9 %. Dies ist unter anderem auf neue Schutzverordnungen und den Status als Weltkulturerbe zurückzuführen, die die Bebauung der Kurischen Nehrung begrenzen und regulieren (Traškinaitė 2022). Vergleicht man das Verhältnis von Siedlungsfläche zu landwirtschaftlicher Fläche, so fällt auf, dass der Anteil der Siedlungsfläche im Laufe der Zeit deutlich zunimmt. Dies zeigt einerseits die abnehmende Bedeutung der Nutzung von Grenzertragsräumen, andererseits resultiert es aus der absoluten Ausweitung der Siedlungsfläche auf der Kurischen Nehrung.

Am Ende der dargestellten Entwicklung präsentiert sich die Kurische Nehrung in ihrer heutigen Gestalt, wobei die Siedlungsflächen stets eine untergeordnete Rolle spielten. Die Landschaft wird von dem vorherrschenden Nehrungswald dominiert, der nach über 200 Jahren des fast vollständigen Verschwindens die eindeutig prägende Form darstellt. Im Verlauf des Betrachtungszeitraums haben sich die Anteile von Sand und Wald nahezu umgekehrt. Andere Vegetationsformen wurden größtenteils durch den Wald verdrängt.

Verwendete Literatur

Arbušauskaitė, A. (1993): Demographische Veränderungen auf der Kurischen Nehrung nach 1945. In: Annaberger Annalen.
Drėmaitė, Marija, Migonytė, Viltė, Mankus, Martynas u. Vasilijus Safronovas [Hrsg.] (2020): Neringa. Architektėros gidas. Vilnius.
Gerhardt, P. (1900a): Festlegung des Dünensandes. In: Gerhardt, P., Abromeit, J., Bock, P. u. A. Jentzsch. Handbuch des deutschen Dünenbaues. Berlin. 327–423.
Gerhardt, P. (1900b): Zweck und Geschichte des Dünenbaus. In: Gerhardt, P., Abromeit, J., Bock, P. u. A. Jentzsch. Handbuch des deutschen Dünenbaues. Berlin. 279–326.
Lendvai-Dircksen, Erna (1941²): Wanderdünen. Bild einer Urlandschaft. Bayreuth.
Mager, Friedrich (1938): Die Landschaftsentwicklung der Kurischen Nehrung. Königsberg.
Pluhařová-Grigienė, Eva (2017): Die Migration der Bilder. Das Memelgebiet in fotografisch illustrierten Büchern (1889-1991). Das östliche Europa Kunst- und Kulturgeschichte 5. Köln.
Sereika, Remigijus (2020): Curonian Spit Travel Guide. Vilnius.
Sietz, Henning u. Mariola Malerek (1996): Kurische Nehrung. Laumann-Reiseführer. Dülmen.
Solger, F. (1910): Geologie der Dünen. In: Solger, F., Graebner, P., Thienemann, J., Speiser, P. u. O. Schulze. Dünenbuch: Werden und Wandern der Dünen Pflanzen- und Tierleben auf den Dünen, Dünenbau. Stuttgart. 1–179.
Traškinaitė, D. (2022): Value of the Curonian Spit Cultural Landscape. In: Samalavičius, A. Site, Symbol and Cultural Landscape. Newcastle upon Tyne. 94–106.